Der Weg nach vorn
Veröffentlicht am 02. September 2025
Nomadenkinder zeigen traditionelle Tänze
Ein Bericht unserer Programm Managerin Tasneem Balasinorwala über ihren Projektbesuch im „Bildung und Lebenschancen für Nomadenkinder” Projekt vom 19. bis 22. Mai 2025:
Ein neues Kapitel beginnt: Seit dem Start des Projekts im März Jahr 2025 konnten wir erste spannende Eindrücke gewinnen. Tasneem besuchte die Aktivitätszentren in Satara sowie die Nirman-Büros in Pune und Satara. Dort traf sie nicht nur auf engagierte Teammitglieder und die Gründer:innen von Nirman, sondern erlebte auch die lebendige Atmosphäre vor Ort. Kinder füllten die Räume mit Liedern, Theater und Gedichten – und auch viele Eltern waren gekommen, um ihre Unterstützung zu zeigen.
„„Es war schön, wieder vor Ort zu sein und das Projekt zu besuchen. Dabei wurde mir erneut bewusst, welchen bleibenden Einfluss die Arbeit von Freiheitskämpfer:innen und Reformist:innen wie Savitribai und Jyotirao Phule sowie Dr. Babasaheb Ambedkar hatte. Besonders berührend war die Erkenntnis, dass die Kinder, die ich auf den Straßen sehe – beim Verkaufen oder Aufführen – nicht nur aus armen Familien stammen, sondern zu bestimmten Stämmen gehören, von denen jeder eine traditionelle Spezialtätigkeit hat.
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Tasneem mit Nomadenkindern
Um die Bedeutung dieses Projekts zu verstehen, lohnt ein Blick auf den Hintergrund:
Die Denotifizierten und Nomadischen Stämme (DNT/NT) in Indien leben seit Generationen am Rand der Gesellschaft – ausgeschlossen, stigmatisiert und grundlegender Rechte beraubt. Die Wurzeln dieser Ausgrenzung reichen bis ins britische Kolonialgesetz von 1871 zurück, das ganze Gemeinschaften als „kriminell von Geburt an“ brandmarkte. Auch wenn es später aufgehoben wurde, wirken die Folgen bis heute fort.
Schätzungen zufolge gehören rund 107 Millionen Menschen in Indien diesen Gemeinschaften an, darunter etwa 6 Millionen in Maharashtra (Stand: 2008). Viele von ihnen haben weder verlässliche Einkommensmöglichkeiten noch Zugang zu staatlichen Leistungen wie Lebensmittelkarten.
Bildung – ein entfernter Traum für viele Nomadenkinder
Ein großes Hindernis bleibt die Bildung: Zwar sind 72 % der Kinder eingeschrieben, doch 28 % brechen die Schule ab. Heutzutage haben 61 % der Frauen nie eine Schule besucht, denn Mädchen sind vom Schulabbruch besonders betroffen. Finanzielle Not zwingt Familien oft dazu, ihre Töchter früh aus der Schule zu nehmen – zum Arbeiten in traditionellen Berufen – etwa als Musikerinnen in Blaskapellen, beim Straßenverkauf, auf Feldern, in Ziegelöfen oder sie werden gar zum Betteln geschickt oder in die Kinderheirat gedrängt.
Ein Nomadenmädchen zeigt ihre Lesekünste
Tasneem erzählt:
„Dank der Unterstützung durch das BMZ und unseren großzügigen Spendern fördert das Projekt derzeit 10 Aktivitätszentren (5 Haupt- und 5 Unterzentren) im Distrikt Satara. Bei meinen Besuchen in 8 dieser Zentren konnte ich mit Kindern, Eltern (vor allem Müttern), zuständigen Behörden und auch Mitgliedern der Gemeinschaft sprechen.
Mädchen spricht in der Versammlung
Die Kinder begegneten uns voller Begeisterung – festlich gekleidet, neugierig und stolz, ihr Können zu zeigen. Die Aktivitätszentren bieten ihnen nicht nur einen Ort, sondern auch einen geschützten Raum zum Lernen und Ausprobieren. Teilzeitkräfte, die mit großem Engagement arbeiten, unterstützen die Kinder dabei. Beliebt sind Spiele wie Carrom, Badminton oder Darts. Außerdem gibt es Bücher in Englisch und Marathi, Lezim-Tanzstunden und in den Hauptzentren Computer, die zum Lernen und zum Ansehen von Dokumentationen genutzt werden.
Besonders eindrucksvoll war der Austausch mit den Kindern selbst. Sie erzählten von ihren Rechten, die ihnen durch die indische Verfassung zustehen, und kannten alle wichtigen Notrufnummern. Wir sprachen über ihre Träume und auch über Geschlechterrollen, baten sie, Gedichte vorzulesen oder etwas auf Englisch vorzutragen. Sie berichteten auch, was ihnen an den Aktivitätszentren am meisten Freude macht.
Die Eltern bestätigten, wie wichtig die Zentren sind: Ihre Kinder freuen sich jedes Mal darauf, dorthin zu gehen, und verbringen ihre Zeit nicht mehr ziellos. Auch die enge Zusammenarbeit mit den Lehrer:innen trägt dazu bei, dass Lernen gelingt.”
Nirman – ein starker Freund an der Seite der Nomadengemeinschaften
Im Büro unseres Projektpartners Nirman, rechts Santosh Jadhav
Wertvoll waren auch Gespräche mit der District Legal Service Authority und dem Child Welfare Committee, die die Arbeit von Nirman sehr schätzen.
Organisationen wie Nirman spielen eine wichtige Rolle dabei, die Stimmen der marginalisierten Gemeinschaften zu stärken. Doch echte Veränderungen müssen systemisch erfolgen. Santosh Jadhav, Mitbegründer von Nirman und selbst Erstgenerationenschüler aus dem Ramoshi-Stamm, bringt es auf den Punkt: „Nur Bildung wird unseren Status verändern.“ Es ist ermutigend, dass Karuna Deutschland diese wichtige Arbeit unterstützt.
Tasneems Resume
„„Mein stärkster Eindruck: Diese Kinder lernen ihre Rechte – auf Bildung, Wohlbefinden und Schutz – und wissen auch, wie sie im Notfall selbst Hilfe suchen können.
Nichts ist erfüllender, als zu sehen, wie schnell ein Projekt seine Wirkung entfaltet. Schon jetzt zeigt sich, wie das einfache Konzept der Aktivitätszentren – bestehend aus Räumen, Lehrkräften und Ausstattung – den Nomadenkindern im Distrikt Satara im indischen Bundesstaat Maharashtra neue Möglichkeiten eröffnet.”“






Einige grundlegende Kinderrechte der indischen Verfassung:
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Jeder Bürger hat Anspruch auf kostenlose Grundschulbildung, und der Staat wird sich bemühen, innerhalb von zehn Jahren nach Inkrafttreten dieser Verfassung eine kostenlose und verpflichtende Schulbildung für alle Kinder bis zum Alter von vierzehn Jahren sicherzustellen.
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Der Staat gewährleistet allen Kindern im Alter von sechs bis vierzehn Jahren eine kostenlose und verpflichtende Schulbildung in der vom Staat gesetzlich festgelegten Form.
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Es ist die Pflicht jedes indischen Bürgers, der Elternteil oder Vormund ist, seinem Kind bzw. seiner Schutzbefohlenen im Alter von sechs bis vierzehn Jahren Bildungschancen zu ermöglichen.
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Kein Kind unter vierzehn Jahren darf in einer Fabrik oder Mine beschäftigt oder in einer anderen gefährlichen Arbeit eingesetzt werden.